Meine musikalischen 70er Jahre

links: Werner Kimminus mit seiner Tal Farlow Gitarre; rechts von oben nach unten: Martin Ederer (E.J. Mart), Eugen Rödel, Frederic Rabold

Bereits im Februar 2023 schrieb ich über meine Eindrücke über die „Jugend- und Musikszene im Stuttgart der 70er Jahre mal persönlich


Heute möchte ich das noch etwas vertiefen hinsichtlich meiner musikalischen Entwicklung.


Ich glaube, seit meine Mutter mit mir schwanger war und ihre ersten Gehversuche auf einer Gitarre machte, muss mich das pränatal beeinflusst haben. Jedenfalls pätestens als auch mein 12 Jahre älterer Bruder sich immer häufiger mit der Gitarre beschäftigte, konnte ich mich diesem Instrument auch nicht mehr entziehen. Zwar beschäftigte sich mein Bruder Rüdiger mit der Gitarre eher als Begleitinstrument für seine Protestlieder (Franz Josef Degenhardt) oder mit Songs von Donovan usw. als mit den solitstischen und harmonischen Fähigkeiten dieses Instruments, aber das sollte dann wohl meine Aufgabe werden.


Auch ich begleitete mich zunächst nur auf der Gitarre beim Singen, doch spätestens als ich mit dem Jazz in Berührung kam, änderte sich das drastisch. Fortan waren Jazz-Gitarristen mein Fokus in den 70ern, auch wenn ich gegen Ende auch zur Trompete griff.


Charly Byrd, Wes Montgomery, Joe Pass, Kenny Burrel, Tal Farlow, Howard Roberts, Barney Kessel und weitere waren meine Heroes. Die Schallplatten stapelten sich und wurden immer verkratzter, denn ich erhörte mir oft von Rille zu Rille, was meine Vorbilder auf dem Instrument so trieben, harmonisch und melodiös.


Auf diese Weise habe ich mir selbst die kompliziertesten Jazz-Gitarrengriffe über meine Ohr zugänglich gemacht. Eine Schwierigkeit bei der Gitarre ist das „redundante“ Tonmaterial auf dem Griffbrett: die meisten Töne befinden sich oktavidentisch mehrmals auf dem Griffbrett, allerdings auf unterschiedlichen Seiten und in unterschiedlichen Bünden:

Im Fretboard-Bild oben werden wagerecht die Seiten dargestellt und senkrecht die Bünde. Die Bünde erhöhen von links nach rechts für jede Seite mit ihrer jeweils speziellen Stimmung in Halbtonschritten die Tonhöhe (Frequenz). Die Seiten von unten nach oben, also von der tiefen E zur hohen E Seite: E, A, D, G, H, E.


..z.B. das „F“ oben im 1. Bund auf der hohen E-Seite findet sich exakt wieder im 6. Bund auf der H-Seite, im 10. Bund auf der G-Seite und im 13. Bund auf der tiefen E-Seite.


„Exakt“ bedeutet dabei , dass die physikalische Frequenz zwar übereinstimmt, nicht aber die Klangfarbe: auf tieferen Seiten klinkt die entsprechende Note etwas „dumpfer“, denn je tiefer die Seite, desto dicker der Seitendurchmesser.


Hört man nun einen Jazz Gitarrenakkord z.b. F 7/5- so stellt sich die Frage, wie er denn zu greifen ist und in welcher Lage. Die „Lage“ bestimmt, wo sich die linke Hand auf dem Griffbrett befindet. Aus der Kombination der Akkordtöne und ihrer Klangfarbe kann man die notwendige Griffweise jedes Akkords auch vom Hören ableiten….das schult das musikalische Gehör enorm. Am Anfang dauert es sehr lange und die Schallplatten müssen ziemlich leiden, aber mit der Zeit hat man sein Griffrepertoiere bereits erweitert, dass Ohr geschult und es geht schneller. 


Ich war einigermaßen überrascht, als ich später Gitarrenunterricht für Jazz-Gitarre nahm, also auch die Theorie der Akkorde und deren Aufbau studierte, wie meine „abgehörten“ Gitarrengriffe von damals doch tatsächlich auch dem theoretischen Aufbau entsprachen.


Meinen ersten Unterricht bekam ich durch Gela Hildebrand, der damals Kinder und Jugendliche im Musikhaus Radio Barth unterrichtete. Herr Hildebrand war Profigitarrist und verweilte u.a. auch in den USA für die deutsche Gitarrenbau Firma Höfner, um die „Elektrifizierung“ zu verbessern. Ich erinnere mich, wie ich mich bei ihm im Radio Barth Stuttgart vorstellte, indem ich ihm zwei einstudierte Stücke von „Joe Pass Viruoso“ vorspielte: „How High The Moon“ und „Night And Day“. Meine Vorstellung muss ihm imponiert haben und er bot mir sofort privaten Einzelunterricht bei ihm zu Hause in Stuttgart Kaltental an.

Fortan fuhr ich einmal pro Woche nach Kaltental und er begann seinen Unterricht mit mir anhand der amerikanischen Gitarrenschule „William G. Levitt - A Modern Method For Guitar“ Bände 1-3. Für mich war gleichzeitig das der Einstieg in das Notenlesen überhaupt. Das hat aber nur knapp ein Jahr gereicht, wobei wir den ersten Band, also die Basics, vervollständigten. Irgendwelche Umstände hatten mich dann aber von diesem Weg abgebracht.


Im Jugendhaus Mitte lernte ich den Gitarristen Martin Ederer kennen, der zu jener Zeit in Jazz Formationen dort auftrat. Auch von ihm lernte ich einige Tricks, denn er hatte sich auf eine „atonale“ Spielweise der Gitarre spezialisiert, wobei er unisono sein solistisches Spiel mit seinem Scat-Gesang begleitete. Mit seinem Künstlernamen E.J.Mart spielte er u.a. bei der Frederic Rabold Crew mit und der Song „Open House“ wurde damals täglich im Radio als Opener für eine Musiksendung gleichen Namens gesendet.


Schließlich landete ich endgültig von 1975-79 in der Jazzszene Stuttgarts, als Zuhörer und teilweise auch aktiver Hobby-Gitarrist. In dieser Zeit waren die lokalen Musiker Martin Spiegelberg (Gitarre, Flügelhorn), Roger Röger (Gesang) und der Bassist Jan Jankeje fast bei jedem Gig beteiligt. Ein musikalischer Anker für mich wurden der Bar-Pianist Eugen Rödel und der Gitarrist Werner Kimminus, der oft auch den e-Bass spielte. Mit Eugen durfte ich meine ersten Schritte als „Jazz-Gitarrist“ in der Kneipe „Vitrine“ am Berliner Platz machen. Einen Gig hatten wir auch vor dem damaligen Musikhaus Radio-Barth.


Im Untergeschoß der Vitrine befand sich das bekannte AT-Musikpodium von Pit Haug. Eugen spielte die bekannten Jazzstandards und ich begleitete und solierte auf meiner Höfner Gitarre SE35, die ich zusammen mit meinem Standel Verstärker (Stan Randel), beide damals über Gela Hildebrand erworben hatte.


Eines Tages kam ein bekannter Gypsy-Gitarrist vorbei, dem ich kurz meine Gitarre überließ….ich staunte Bauklötze, was man auf der Gitarre alles machen kann - es war Bobby Falta.


Mein Haupteinfluss aber war damals Werner Kimminus, ein weit gereister Profimusiker, der allerdings später sein festes Einkommen über den Künstlerdienst des Arbeitsamts als Sachbearbeiter und Vermittler bezog. Das Musikerleben im Stuttgarter Raum wurde mit den Jahren immer schwieriger, und die „Gigs“ wurden rarer. Werner war stolzer Besitzer einer Gibson Tal Farlow Gitarre und erst Jahre später leistete auch ich mir eine echte Gibson: ES175 ….gebraucht von einem GI für 2.500 DM erworben. Das war Ende der 80er Jahre und ich lud Werner zu uns nach Hemmingen ein, um in Ludwigsburg ein Konzert mit Maynard Ferguson zu besuchen. Anschließen spielten wir auf meiner Gibson und er zeigte mir einige Kniffe. Als Dankeschön hat er mir später eine handgefertiges Übungsheft erstellt und gewidmet, indem er seine Ideen zur jazzmäßigen Gitarrentechnik niederschrieb (Fotoalbum in Auszügen w.u.)


Alles in allem waren die 70er für mich der Aufbruch in die Welt der Musik, die ich nie missen möchte.


Ich wollte an dieser Stelle nur noch mal festhalten, welche Menschen mir damals wichtig waren und diese hier nochmal in Erinnerung rufen. Frederic Rabold gehörte natürlich ebenfalls dazu, als ich zur Trompete fand. Dieser Kontakt ergab sich erstmalig damals über das Jugenhaus Mitte, wo er die Trompete unterrichtete und über meine Ambitionen als Trompeter in der Rockband ARGO. Ein Foto von einem Auftritt 1978 im Sudhaus befindet sich in meinem ersten Artikel über die 70er Jahre.


Hier noch Auszüge aus Werners Spielanleitung zur Jazzgitarre als Fotoalbum:



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